Was das Schreiben bringt

Wow! Die rege Beteiligung am Schreibspiel "Longer dump gelatiof" und dem dazugehörigen Übersetzungsspiel hat mir in den vergangenen Wochen das Dauergrinsen eines Honigkuchenpferds ins Gesicht gegossen. Oh, wie liebe ich Eure Lautmalereien! Wie liebe ich die Phantastereien über Orte, Menschen, Sprechanlässe - und natürlich Eure frischen, unmittelbaren Übersetzungen.

 

Nun, da ich am Planen des nächsten Schreibimpulses sitze, denke ich nach: Sollte ich das, was ich mit dem Übersetzungs-Schreibspiel bezweckt habe - das, was es "bringen" sollte - noch erklären, ehe wir uns ins nächste Abenteuer hineinkritzeln? 

 

Die Frage ist noch ein bisschen größer: Soll ich überhaupt mehr Einblicke in die schreibpädagogischen und psychologischen Hintergründe der einzelnen Übungen geben? "Klar", sagt die Pädagogin in mir. "Hihi, was denn noch alles?", sagt die, die auf mich und meine Kraftreserven aufpasst und der ich in letzter Zeit, auf Grund der Erschöpfung immer mehr Autorität einräume. "Warum machst Du schon wieder ein Programm daraus?", fragt die dritte Stimme, die Stimme der Freiheit und Leichtigkeit. Sie mag ich am liebsten. Wenn ich ihr folge, darf ich nämlich alles. Manchmal. Oder nichts. Ganz wie ich will. 

 

Was ich will, ist jetzt gerade: erzählen, wie ich auf die Phantasiesprachen-Übung gekommen bin und was sie meiner Meinung nach bewirkt: Das "Schreiben ohne Sinn" wird von expressionistischen Autoren und auch von Poesietherapeuten benutzt. Es kann einen direkten Draht zum Unterbewusstsein legen - zu dem, was in uns schlummert, aus Zeiten, in denen wir noch keine Worte, wohl aber Lautsprache zur Verfügung hatten. Ebenso kann es zeigen, was aktuell in uns auf Ausdruck wartet und noch keine fertigen Worte hat. Es kann aber auch einfach Spaß machen, schön sein wie Lieblingsmusik, beglücken durch Kombinationen von Lauten, die uns gut tun oder lustig sind. 

Ich kenne die "Unsinnsprache" aus dem Impro-Theater. Dort heißt sie "Gibberish" oder auch "Gromolo". Es gibt Menschen, die können ganze Szenen in spontan erfundener Sprache spielen, die merken sich sogar Wörter und verwenden sie später in der Szene an der passenden Stelle wieder, was beim Publikum natürlich Lachen und Begeisterung weckt.


Ich selber war ganz schlecht bei diesem spontanen Sprach-Spiel. Vielleicht bin ich unbegabt, vielleicht ist mir aber die echte Sprache schon phantasievoll genug, so dass mir keine andere, selbst erfundene einfällt. Der wahre Grund ist vermutlich der: Es ging mir immer zu schnell. So schnell kann mein Hirn einfach nicht an meiner echten Sprache vorbei denken, es rutscht gleich in den Fluss der  wirklichen Worte hinein ... oder rennt weit weg in Regionen, wo nicht mehr zu Hause ist als "Krakamakawatz salamakni? Matztarak!" Nicht die beste Basis, um eine gefühlvolle Liebesszene zu spielen. 

Wie wunderbar ist da doch das Schreiben! Es schenkt mir diese entscheidende Zehntelsekunde mehr, jenen Augenblick, in dem ich die beiden Reflexe bändigen kann: den Reflex des Gewohnten und den Reflex der Ausflucht ins hirnlos Banale. Die Kraft der beiden gezügelten Pferde, zusammen an einem Gespann, erzeugen ein elektrisches Feld, das lebendig zwischen den Polen des Gewohnten und des ganz Anderen oszilliert. "Krakamkawatz" darf zu "Krawa kawatz salam, aknimatz tarak lonalatz sinf" werden ... und gleicht viel mehr nach echter Sprache klingen, weil es die echte Sprache berührt, ohne hineinzuplumpsen, und gleich viel mehr Assoziationen wecken, weil ich nicht gleichzeitig lauten und Bilder denken muss, sondern beiden schön hintereinander machen kann.


Kennt Ihr sie auch, diese Zehntelsekunde? Habt Ihr auch Reflexe, die Ihr beim Schreiben an die Zügel nehmt und in Kreativität verwandelt? Erzählt gerne davon, weiter unten in den Kommentaren. 

 

Es könnte sein ...

 

Der zweite Teil unserer Übung hat sich gleich ein paar Prinzipien zunutze gemacht. Erstens: die Möglichkeitsform. Sie ist einfach großartig, denn sie heilt uns von dem Irrglauben, dass das, was wir da zu Papier bringen, wahr, toll, wichtig oder besonders originell sein muss. Die Möglichkeitsform bringt uns ins Spielen, sie ist im Schreiben das, was die Bleistiftskizze am Papier ist. 

 

Zweitens: die Übersetzung "fremder" Ideen, zu Deutsch auch "Klauen" oder auch "Abpausen"* genannt. Oh, es gibt viele herrliche Schreibanleitungen, die auf diesem Prinzip beruhen! Es geht darum, einen Aspekt aus einem fremden Text zu übernehmen, und daraus selbst etwas Eigenes zu machen. Man kann einen Satz als Vorlage nehmen und dann einen eigenen Satz schreiben, in dem die gleichen Vokale in der gleichen Reihenfolge vorkommen. Oder man kann ganze Geschichten-Baupläne übernehmen. Oder Gedichte als Vorlage nehmen, indem man den Satzbau kopiert und die selben Wortarten aneinanderreiht. (Hauptwort, wo ein Hauptwort war, Verb statt Verb etc.)

 

Diese Art zu schreiben nimmt ebenfalls Kreativitätsdruck, gibt eine Art Handlauf zum Anhalten und lässt doch unseren eigenen Worten freien Lauf. 

 

Was das bringt? Meine Erfahrung hat gezeigt: Auch wenn ich Texte schreibe, die vor allem aus fremden Vorgaben entstehen, bleibt doch eine Liebe und Nähe zu der Figur, die ich da in Worte gegossen habe, übrig. Und nicht nur die Figur, nicht nur das, was ich geschrieben habe. Sondern ein ganzer Kosmos rundherum, der sich manchmal unterhalb der Bewusstseinsschwelle weiterspinnt oder ausgestaltet. Durch eine kurze Schreiberei öffnet sich eine Tür ins Land der Phantasie. Und da warten nicht nur "meine" Figur, sondern andere, ganze Familien, die sich zu Geschichten gruppieren wollen. Je öfter ich Miniaturen erfinde und Szenen schreibe - selbst wenn sie von außen vorgegeben sind - um so gegenwärtiger wuselt und träumt sich die Geschichtenwelt in mir. Auch in den Träumen. 

 

Miniaturen zu schreiben, das ist für mich wie das Ölen des Schlüssels für die Eingangspforte in die Geschichtenwelt. Oder: Jeder kleine erfundene Text ist ein Visum-Stempel in meinen Autorinnen-Geschichtenpass. Bald wartet die Green-Card mit Daueraufenthaltsbewilligung, ganz bestimmt!

 

Hbt Ihr von Euren Figuren geträumt? Sind sie Euch ans Herz gewachsen, haben sie Euch noch begleitet, in den vergangenen Tagen? Wenn Ihr wollt: Kommentare los! 

 

Bis bald, Eure

Barbara

 

 

*Abpausen: Sagt man das auch in Deutschland so? Wenn man ein Bild unter ein Blatt Papier legt und die Linien nachfährt?

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Kommentare: 6
  • #1

    Sylvia bauer-pendl (Mittwoch, 07 Oktober 2015 19:14)

    hallo Barbara! wenn man "abpaust" bzw. abschreibt :) ist das nicht eine Copyright-Verletzung? Ich bin vor ein paar Tagen, unabhängig von diesem Schreibspiel, auf diese Idee gekommen, da hatte ich deinen Text hier noch gar nicht gelesen. Kurzum, ich fand eine geniale Geschichte, habe sie kopiert und mit meinen Worten umgeschrieben. Was ist passiert? Ich bin nicht glücklich damit, obwohl sie mir super gut gelungen ist. eine Stimme sagt: Die Idee ist nicht von dir. Es ist Gedankenklau und darüber habe ich ein ganz, ganz schlechtes Gewissen Am liebsten hätte ich mit der Autorin Kontakt aufgenommen, und sie um das Recht gebeten, ihre Idee, ihre Gedanken zu verwenden. Dann habe ich mich in ihre Lage versetzt, wenn jemand mit diesem Ansinnen zu mir käme. Also ich würde schön sauer sein. Ich finde, das geht wohl zu weit. Mach dir bitte deine eigenen Gedanken, meint mit lieben Grüßen Sylvia.

  • #2

    Barbara (Mittwoch, 07 Oktober 2015 19:30)

    Liebe Sylvia,

    Ich verstehe, was Du meinst. Ind antworte gern mit jenen Gedanken, dich ich mir in den letzten 20 Jahren als freischaffende Künstlerin dazu gebildet habe:

    1) bitte frag die Autorin, Du wirst zu 85% von ihrer Antwort überrascht sein, denn sie wird es vermutlich als Ehre empfinden. Vor allem, wenn ...

    2) ... es um eine Übung geht. Da ist 'Abpausen' nötig. Schon Picasso hat die großen Meister kopiert.

    3) Abpausen ist nicht: Ideen klauen. Ganz im Gegenteil: es heißt, Stil und Struktur bestmöglich zu 'kopieren' und mit einer eigenen Idee zu füllen. So gesehen sind 95% aller Hollywoodfilme 'abgepaust'. (Siehe Heldenreise)

    4) Wenn es um Geldverdienen und Tantiemen geht, ist das natürlich heikler, aber darum geht es hier auf den Soonenseiten nicht. Und dennoch: fragen ist immer gut, den Namen der 'Erst-Autorin' mit Dank für die Inspiration zu nennen, ist dabei ein moralisches 'Muss' und stößt viel eher auf Freude als auf Empörung.

  • #3

    Anita Hollauf (Mittwoch, 07 Oktober 2015 19:32)

    Diese Übung war bis jetzt die schwierigste für mich. Wahrscheinlich bin ich einfach zu gradlinig, zu neugierig, zu zielorientiert, zu sehr auf Ergebnisse bezogen. Etwas zu schreiben, das unverständlich ist, gibt mir nicht das Gefühl von Freude und Erfülltsein, das sonst hochkommt, wenn ich schreibe. Die Übersetzung macht mir Kopfzerbrechen, weil ich mich ständig frage, was die Autorin sich wohl gedacht hat. Und genau das ist wahrscheinlich mein Problem: Ich gehe zu verkopft an die Sache heran, schaffe es nicht, einfach in einem loslassenden Zustand mich hinzugeben - ohne Kontrolle einfach zu tun. So hat diese Schreibübung in mir den Lernprozess des Loslassenwollens/-könnens angekurbelt, mir wieder einmal gezeigt, dass Kontrolle weder immer sein muss, noch immer gut ist.

  • #4

    Anja (Mittwoch, 07 Oktober 2015 22:52)

    Ich habe den zweiten Teil des Schreibspiels nicht mitgemacht, vordergründig aus Zeitnot und anderer Prioritätensetzung, aber ja, irgendwie sprechen mir auch Anitas Worte aus der Seele....
    Und wenn ich mir Barbaras Reflex-Gedanken durch den Kopf gehen lasse, entsteht folgendes: einen Text zu verfassen ist wie ein Eiskunstlauf: die Wörter tanzen zur Musik, die Sätze gleiten wie auf Kufen aus mir heraus und bald entsteht eine grobe Choreografie. Meine Reflexe lassen Punkte und Kommas und Strichpunkte setzen, kurze, sinnerfüllte Sätze formulieren.....aber bis daraus eine fertige Kür wird, ringe ich zäh...ich liebe es, wenn ich sie schlussendlich tanzen kann!

  • #5

    Sylvia (Donnerstag, 08 Oktober 2015 19:00)

    Anita, mir fiel es auch sehr schwer und so habe ich ganz einfach rückwärts geschrieben. aber nicht so, dass ich das Wort aufgeschrieben hätte und dann von vorne nach hinten buchstabiert geschrieben, sondern ich habe mir das Wort im Geist vorgestellt und dann kam das rückwärts schreiben von ganz allein und je länger ich schrieb umso besser drehte mein Gehirn die Worte um. Die Übersetzungs-Übung hat mir sehr viel Spaß gemacht und war für mich leichter .

  • #6

    Sylvia (Donnerstag, 08 Oktober 2015 19:09)

    Um noch einmal auf das Kopieren zurück zu kommen:. Ich habe erlebt, dass jemand meinen Text ungefragt verwendet hat und ich las das Ganze dann im Internet. Darum meine Empörung und Skepsis. Ich habe selbst einen Text aus einem Kabarett-Stück von L. Resetarits verwendet und in Mundart umgeschrieben. Natürlich angefragt, ob ich es verwenden darf. Nachzulesen in www.hianzenverein, schreibwerkstatthttp://www.hianzenverein.at/schreibwerkstatt/Texte lesen